Copy, Paste und de Gier

Am 8. September schien er seinem Ziel so nah, wie nie zuvor. Spätestens seit Februar dieses Jahres hatte Jasper de Gier, Sprössling einer Zahnarztfamilie und nach eigener Darstellung „Vorstandsvorsitzender der ‚de Gier Management & Consulting Aktiengesellschaft'“ mit Sitz in der Taunusstraße in Friedenau Wilmersdorf, versucht, das Stadtbad Oderberger Straße zu erwerben.
Da die Stiftung Denkmalsschutz, der die Immobilie gehört, sich nicht mehr in der Lage sah, innerhalb der nächsten Zeit einen geeigneten Investor zu finden, hatte sie nun die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow gebeten, ihr bei der Auswahl eines Käufers (und Investors) behilflich zu sein – unter der Maßgabe, sich nach der jeweiligen Entscheidung der Bezirksverordneten zu richten.

© Foto: Dieter Buchelt/Prenzlberger Ansichten

War die Immobilie selbst relativ preiswert zu haben, so hängt an dem Kauf jedoch die Verpflichtung dran, die einstige Volksbadeanstalt wieder so herzurichten, dass sie nicht weiterhin als Mahnmal der Nutzlosigkeit in der Gegend herumsteht.
Und das wird kosten.
 

Wer hat den Größten…

Aber Jasper de Gier war darauf vorbereitet. An jenem Tag gehörte er nicht nur zu den drei Bewerbern, die ihre Konzepte in der gemeinsamen öffentlichen Sitzung des Finanz- und des Stadtentwicklungsausschusses vorstellen durften, nein, war er der Größte von ihnen – zumindest, was Investitionsvolumen, angepeilte Besucherzahlen und… die Länge der geplanten Bauzeit betraf.

Zehn Jahre wollte er an einem Super-Luxus-Spa-Tempel basteln; die Summe für die Investitionen hatte er kurzerhand von 30 auf 50 Millionen Euro hochgerechnet und die in seinem schriftlichen Konzept anvisierte Zahl von täglich mehr als 800 Besuchern ließ er locker schon mal auf über eintausend anschwellen. Ein Tausndsassa eben…- ach was: Ein Zehntausend-, Hundertausend-, Millionen…, nein, ein Fünfzigmillionensassa schien dieser Jasper de Gier zu sein…

Allein, je gigantischer seine Darstellungen über die Zukunft des alten Volksbades wurden – umso mehr verdüsterten sich die Gesichter der Bezirksverordneten (und damit de Giers Aussichten auf Erfolg).
Denn die Bezirksverordneten wollten gar kein Super-Hyper-Wellnessbad, und so war de Gier aus dem Rennen.

Glück gehabt, Prenzlauer Berg; Glück gehabt, Bezirk Pankow!!

Denn möglicherweise hätte zum Ende der langen Bauzeit anstelle des alterwürdigen Bades nur eine billige Kopie desselben gestanden… .
Was am Angebot Jasper de Giers tatsächlich real war, und was nur, tja, nennen wir es einmal gnädig „Produkt einer lebhaften Phantasie“ gewesen ist, wird bei näherem Hinschauen jedenfalls immer unklarer.
 

De Giers seltsamer Geiz

„Seltsam“, wunderte sich ein Bezirksverordneter, der sich einige Schreiben von de Gier angesehen hatte und sich an der zum Teil gewöhnungsbedürftigen Syntax und der sehr freien Anwendung der Zeichensetzung gestoßen hatte (siehe Download „Antworten de Gier“), „der führt ein Unternehmen und kann sich keine rechtschreibkundige Sekretärin leisten?“ Einen anderen irritierte der Umstand, dass der Bieter auch auf Nachfragen keine einzige Referenz eigener Projekte beibringen könnte.
Noch bemerkenswerter war aber der Unwille, neben dem einen Euro Kaufpreis auch die von der Stiftung geforderten 500.000 Euro für Aufwendungen und Planungsleistungen zu übernehmen – bei einer angekündigten Investitionssumme von 50 Millionen Euro wären das die berühmten „Peanuts“ gewesen.


 
Stattdessen machte de Gier bereits im Februar eine eigene, offensichtlich auch nicht ganz stimmige Rechnung auf:
 

 
Die Vertreter der Stiftung Denkmalschutz fanden das nicht so toll – wobei nicht überliefert ist, ob sie sich auch darüber empörten, dass am Ende der de gierschen Rechnung nicht einmal mehr 200.000 Euro herauskamen, sondern bloß 199.001.
Aktenkundig ist hingegen, dass sich Jasper de Gier offen darüber beschwerte, dass die Stiftung unschön mit ihm „umgesprungen“ sei.

 

Wer ist Jasper de Gier?

Die bisherigen unternehmerischen Leistungen des seltsam sparsamen Stadtbad-Bieters sind bisher so gut wie im Verborgenen geblieben. Lediglich ein über längere Zeit als Investruine das Zentrum von Kleve zierender Rohbau war vor einigen Jahren einmal mit dem Namen de Gier verbunden.
In dem direkt an der niederländischen Grenze befindlichen nordrhein-westfälischen Städtchen hatten sich Jaspers Eltern am Bau einer Zahnklinik verhoben und mussten 2007 Insolvenz anmelden. Einem Bericht der „Rheinischen Post“ zufolge, fühlte sich de Gier junior für die Pleite seiner Eltern mitverantwortlich:

Jasper de Gier hatte 400 000 Euro, die er sich von seinen Eltern geliehen hatte, in eine Kapitalgesellschaft investiert. Dazu habe es auch eine Bankgarantie und ein Notarkonto gegeben. „Das machte alles einen sehr seriösen Eindruck“, so de Gier. So seriös, dass später auch seine Eltern weiteres Geld in dieser Kapitalgesellschaft anlegten, um damit die Finanzierung des Neubaus zu sichern.

Doch der Endruck trog – und so war das Geld alsbald verschwunden. Man sei Betrügern aufgesessen, erklärte Jasper de Gier der Zeitung. Das Blatt berichtete, dass der Sohn den Eltern aber aus der Misere helfen, und das fehlende Kapital zur Vollendung des Bauvorhabens bereitstellen wolle.

Einige Wochen später war zu lesen, dass Jasper de Gier 1,5 Mio Euro für die Schuldenbereinigung bereit stellen wolle. Kaufen wollte er die Pleite-Immobilie aber nicht.
Ob das Geld tatsächlich vorhanden war ist unbekannt. Die Insolvenzverwalterin machte jedenfalls von dem Angebot keinen Gebrauch, und so wurde das Grundstück schließlich von einem Wohnungsbauunternehmen erworben.

War jene unglückliche Geschichte auch das einzige, was über Jasper de Giers – im weitesten Sinne – kaufmännisches Wirken konkret in Erfahrung zu bringen war, so hatte er doch zumindest den Bezirksverordneten einen allgemeinen Einblick in sein unternehmerisches Schaffen gegeben (siehe Download „Antworten…“):


 

Das klang ja doch recht ansprechend. Allerdings: Wieso „hanseatische Tugenden“?
Weil das Original des Textes eine Selbstbeschreibung der Hamburger Quantum Immobilien AG ist, veröffentlicht auf Seite 11 des Jahrbuches 2005/2006 ebendieses Unternehmens:

 
Aber letztlich ist das ja auch egal – arbeiten denn nicht alle erfolgreichen Unternehmen nach ähnlichem Muster? Wichtig ist nur, dass die Unternehmenstragie stimmt. Und die sieht bei Jasper de Gier so aus:

 
Eine solche Darstellung beruhigt ungemein, zumal, wenn man weiß, dass die anerkannt erfolgreiche Nicolas Berggruen Holdings GmbH aus Berlin wortwörtlich nach derselben Strategie verfährt:


 

Der große Text- und Bilderklau

So, wie sich der Vorstandsvorsitzende der de Gier Management & Consulting Aktiengesellschaft in seiner allgemeinen Strategie und Taktik stets an den Erfolgreichen orientierte, so hielt er es auch in Bezug auf seine Bewerbung um das Stadtbad Oderberger Straße.

Die „Projektpräsentation / Projektvorplanung“ der „de Gier & Co. Gruppe“ beginnt mit einer Präambel, in der ein Abriss der Historie der Immobilie niedergeschrieben ist.

Der Text entstammt aus der weltweit erfolgreichsten Enzyklopädie, der Wikipedia , allerdings ohne dass dies – wie eigentlich vorgeschrieben – irgendwie kenntlich gemacht worden wäre.

Der „Präambel“ folgt die „Vision“ – und die liest sich so:


 

Dieselben Worte fanden sich bereits im Schreiben de Giers an die Stiftung Denkmalschutz – doch auch dort fristeten sie ihr Dasein nur als Zweitverwertung. Denn das Original befindet sich auf der Webseite der Vabali Spa Berlin GmbH & Co. KG, einer Firma der Kölner Markus und Stephan Theune – zwei sehr erfolgreichen Bäder-Unternehmern.


 

Die beiden Brüder betreiben eine ganze Reihe von Thermen in Deutschland – darunter auch das Liquidrom in Berlin. Jener von Jasper de Gier „übernommene“ Text ist Teil einer Präsentation der Theunes für ein von ihnen geplantes Spa auf dem Gelände des Sommerbades am Moabiter Poststadion.
In Köln war man übrigens nicht wirklich erfreut darüber, dass die eigenen Worte in Berlin einen so großen Eindruck hinterließen, dass ein Herr de Gier sie schnurstracks zu seinen eigenen werden ließ. Auf die Frage der Prenzlberger Stimme nach einer an Jasper de Gier vergebenen Verwertungserlaubnis reagierte die Geschäftsführung irritiert: „Das Unternehmen de Gier ist uns nicht bekannt. Wir haben keinerlei Genehmigungen erteilt.“
Auch die Bildern, die so reichlich die de giersche „Projektpräsentation / Projektvorplanung“ für das Stadtbad Oderberger Straße schmücken, wurden größtenteils ungefragt aus dem Netz…, nun ja… entliehen.


 

So vergriff sich der große Beinahe-Investor – trotz eindeutiger Copyright-Hinweise – an Bildern der Webseiten der Kaiser-Friedrich-Therme Wiesbaden oder des Palais Thermal in Wildbad.
 
Doch Bilder allein können nur Illustrationen sein. Wenn es um die Beschreibung des Neuen und Einmaligen geht, sind die richtigen Worte unabdingbar. Jasper de Gier hatte sie gefunden:


 

Und zwar auf der Website des Adlon-Hotels Unter den Linden:


 

Gibt es Jasper de Gier überhaupt im Original?

Warum will jemand, der angibt, 50 Millionen investieren zu wollen, auf Teufel komm raus die Einsfuffzich sparen, für die er die locker die Zehntverwertungsrechte irgendwelcher Bäderfotos hätte erwerben können? Und: Warum bindet sich so einer nicht zwei-, dreihundert Euro ans Bein, auf dass ihm ein arbeitsloser Werbetexter die geklauten Absätze zumindest soweit umdichtet, dass sie dem Leser nicht sofort als solche ins Auge fallen? Hat er schwäbische Vorfahren? Fließt in seinen Adern gar schottisches Blut?
Oder kann er einfach nicht anders, weil er irgendwie selbst schon eine Kopie – von wem eigentlich? – geworden ist?
Auf der Suche nach Antwort auf diese drängenden Fragen landet man schließlich auf der Homepage von de Giers Weltunternehmen und kann dort folgendes lesen:


 
Und so weiter und sofort.
Oder wie das „Malte-Fischer-Team“ so trefflich schrieb:


 
Quod Erat Demonstrandum

 

 


PS: Ende vergangener Woche erreichte die Prenzlberger Stimme das Schreiben eines Rechtsanwaltes. Darin wird der Betreiber des Portals im Auftrag der de Gier Management & Consulting Aktiengesellschaft aufgefordert, unverzüglich die Oderberger-Präsentation der Firma de Gier vom Netz zu nehmen. Begründung: Die ungefragte Veröffentlichung verstoße gegen das Urheberrecht von Herrn de Gier…

 

Konzept de Gier

Schreiben de Gier an de Maizière

 

 

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8 Kommentare zu “Copy, Paste und de Gier”

  1. Marco Fechner

    Okt 10. 2011

    Interessante Recherche, lieber ODK…!

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  2. additiv

    Okt 11. 2011

    Wirklich gute Recherche.

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  3. lupo

    Okt 11. 2011

    Es spricht ja dann für die Bezirksverordneten, daß sie sich ganz ohne diese – wirklich sehr gute – Recherche auf ihr Bauchgefühl verlassen haben und den Scharlatan als solchen erkannten (?)…

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  4. Heydenreich

    Okt 11. 2011

    Ein großes Lob für diese gute Recherche.
    Wie kann man solche Großmäuler loswerden?
    Auf einer Seite http://www.McGier.de listen?
    C.Heydenreich

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  5. Kossenblättchen

    Okt 18. 2011

    Gratuliere! Da habt Ihr in Berlin alles richtig gemacht. Diese Holländer wollten sich vor einiger Zeit auch schon unser schönes Schloss in Kossenblatt für einen Euro unter den Nagel reissen. Der Name ist hier wohl Programm …

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  6. Clemens Gmünder

    Okt 19. 2011

    Gratulation zu der guten Recherche! Was für ein mieser Hochstapler und Plagiator.

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  7. Julian C

    Nov 02. 2011

    Super Artikel
    LG
    Julian

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  8. everyone

    Jun 12. 2017

    Und das Spiel geht weiter und immer weiter..immer höher und höher. Unglaublich was dieser Mann für Spuren zieht.

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